Wann erscheint die letzte gedruckte Tageszeitung?

Print stirbt? Ein Besuch im IZM wirft viele Fragen auf!

Das Ende der gedruckten Tageszeitung, es ist für viele Experten beschlossene Sache. 2034 oder 2035? Allein der genaue Zeitpunkt sei noch offen. Erstaunlich genau, diese Prognosen. Eines steht fest: Das endgültige Aus der Printmedien wird die mediale Zeitenwende so früh nicht bringen. Während sich Formate und Auflagen ändern, leiden die großen Verlagshäuser im Prozess der allgemeinen Vernetzung und machen oft die Rechnung ohne den selbstbestimmten Leser. Dabei ist die Koexistenz gedruckter und digitaler Massenmedien längst Realität, und wird es auch noch lange bleiben. 


Oskar von Forckenbeck muss ein belesener Mann gewesen sein. Davon ist zumindest auszugehen. Schließlich war der zeitweilige Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Rheine im 19. Jahrhundert ein passionierter Sammler von Tageszeitungen. Seine private Sammlung von 80.000 Exemplaren wurde bereits 1886 erstmals in Aachen ausgestellt, seit 1931 ist sie fester Bestandteil im Internationalen Zeitungsmuseum (IZM), das seinen Standort im „Großen Haus von Aachen“ in Deutschlands westlichster Großstadt hat.

Interaktiv: Wie läuft Leserbeteiligung?

Aktive Leser, die gab es bereits zu Forckenbecks Zeiten und auch im darauf folgenden Jahrhundert. Auf Papier, denn Social Media war noch nicht erfunden, statt Kommentarfunktionen im Blog gab es den klassischen Block, für persönliche Notizen. Vorläufer des Web 2.0? Das war vor allem der allseits beliebte Leserbrief, der nicht die Meinung der Redaktion wiedergeben musste. Wer heute das IZM durchforstet oder im riesigen Online-Archiv  blättert, der landet zwangsläufig bei Themen wie diesen.

Gerade das macht den medienpädagogischen Wert dieses Museums aus, das zurzeit den Umbau eines historischen Gebäudes zum Multimedia-Tempel erlebt. Bereits im Juli 2011 fand die offizielle Eröffnung des umgestalteten Bauwerks statt, der Förderverein mit Meike Thüllen möchte ab August 2012 sein komplettes Programm anbieten können. Hier liegt der große Reiz eines Besuchs im IZM, das Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp zur Neueröffnung als „Teil des Gedächtnisses unserer Zivilisation“ bezeichnete: Auch Einzelbesucher können aus der Mediengeschichte für die Zukunft der Informationsgesellschaft lernen: Jeden Sonntag finden in Aachen von 14 – 15 Uhr Führungen statt, der Preis dafür ist im Eintrittsgeld enthalten.

Ist Print wirklich tot?

Wann wird die letzte Tageszeitung auf Papier gedruckt? An diese Frage wagen sich vor diesem Hintergrund zurzeit vor allem mutige Wissenschaftler und um Profilierung ringende Nachwuchskräfte in zumeist brancheninternen Diskussionen. Nicht selten werden hierzu Marktanalysen US-amerikanischer Unternehmensberatungen in Deutsche übersetzt, die Ergebnisse mehr oder weniger 1:1 auf die europäische Situation übertragen.

Klaus Meier hat sich immerhin die Mühe einer eigenen Excel-Berechnung gemacht. Statistiker werden den Journalistik-Professor  bereits dafür müde belächeln, der Inhalt der Tabelle birgt aber den eigentlichen Diskussionsstoff: Mit den sinkenden Auflagenzahlen gedruckter Tageszeitungen  in Deutschland aus den letzten zwanzig Jahren hat Meier errechnet, dass exakt 2034 Feierabend ist. Eine sehr willkürliche Analyse, schließlich ist der Verlauf des Zeitungssterbens alles andere als linear, eine Unmenge von Einflussfaktoren wie technische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen kommen ins Spiel.

Was macht der selbstbestimmte Leser?

An dieser Stelle kurz ein paar persönliche Anmerkungen: Der Autor dieser Zeilen hat seine ersten Schritte als Redakteur vor zwanzig Jahren gemacht, in einer kleinen Zeitungsredaktion des Ruhrgebiets. Die Ausgabe des nächsten Tages musste ich als junger Student auf Papier planen, mithilfe eines sogenannten Seitenspiegels. Fotos durfte ich mit einem Schneidegerät bearbeiten, eintüten und bis 17 Uhr per Kurier in ein Pressehaus bzw. die Druckerei schicken. Danach ging an Wochentagen gar nichts mehr, der Luxus heutiger Redaktionsprogramme und Schnittstellen lag in weiter Ferne.

Vor dem Hintergrund dieser rasanten Entwicklungen möchte ich mir die Prognose zur letzten gedruckten Tageszeitung einfach nicht anmaßen. Die Medienlandschaft des Jahres 2012, sie lag 1992 jenseits der Vorstellungskraft. Wer will also heute sagen, wie es 2032 aussehen  wird? In der brancheninternen Diskussion wird zudem vor allem einer außer Acht gelassen: der selbstbestimmte Leser, der in der Informationsgesellschaft eine Fülle von Medien und Kommunikationswegen zur Verfügung hat und längst selbst zum Produzenten geworden ist. Die Koexistenz gedruckter und digitaler Medien ist seit den nuller Jahren Realität geworden, warum sollte sich das bald ändern?

Abschließend daher einige Fragen und Denkanstöße:

– Die letzten Tageszeitung? Geht es dabei wirklich um die Frage „Print oder Online?“ Oder stirbt an Ende ein ganzes Format, unabhängig von Druckerzeugnissen und Lesegeräten?

–  Do you read me? Birk Grüling hat im Gutenbergblog aufgezeigt, wie populär Fachzeitschriften im Print-Format sind. Sind Print-Magazine mit regionalen Themen die Tageszeitungen der Zukunft?

–  Reizüberflutung: Der Mensch des 3. Jahrtausends ist ihr ausgesetzt, die Verkürzung von Information und Kommunikation ist via Smartphone für viele Menschen Alltag. Wer kann vor diesem Hintergrund bereits heute sagen, dass sich zusätzlich relativ „neue“ Endgeräte wie etwa das iPad von Apple wirklich auf dem Markt behaupten?

– Die Verschmelzung der Formate: In zehn Jahren werden internetfähige Fernseher Standard sein. Welchen Platz haben dann noch Tablets, auf die klassische Verlage mit der Devise „Online first“ in ihren Modellen der Zukunft setzen?

– Qualität. Wer definiert die Überlegenheit von Online-Medien gegenüber Print-Medien? Kann ein tragbarer Computer das haptische Erlebnis eines Qualitätsmagazins bieten?

Fragen, die sich für die Zukunft unserer Medienwelten und die Druckbranche stellen. Wer sich damit beschäftigt, dem sei ein Ausflug nach Aachen empfohlen.

Internationales Zeitungsmuseum (IZM)

Pontstr. 13
52062 Aachen
Tel. +49 241 432 4910

Öffnungszeiten:

Di – So 10 – 18 Uhr
Mo geschlossen

Öffentliche Führung:
Sonntags 14 – 15 Uhr

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