Die Geschichte des Offsetdrucks – oder: wer überlebt permanente Innovation in der Druckbranche wie lange?

 

Die Geschichte des Offsetdrucks – oder: wer überlebt permanente Innovation in der Druckbranche wie lange? Investieren in immer neue Druck-Maschinen oder Spezialisierung und Ausnutzung der vorhandenen Ressourcen?

Marketing ist die Kunst der Unternehmensführung. Dazu gehört zu entscheiden, wo und wann eine Investition sinnvoll ist. Vor allem in Zeiten, in denen täglich eine neue Innovation winkt, die etwas am Arbeitsprozess verbessert. Investitionen müssen sich rechnen. Wie viel Zeit bleibt aber, damit sich eine Investition amortisieren kann?

1.500 Jahre von den Anfängen zu Johannes Gutenberg

Die Geschichte der modernen Druckverfahren wie Buchdruck, Tiefdruck, Flexodruck, Offsetdruck oder Digitaldruck ist viel länger, als man denken mag. Sie reicht zu ihren Anfängen in Form von Stempeln zwei Jahrtausende zurück. Schon 200 v. Chr. gab es dann die Vorläufer unseres heutigen Papieres, die erste deutsche Papiermühle nahm ihren Betrieb aber erst 1390 auf. Ab 1460 schließlich entwickelt Johannes Gutenberg die ersten beweglichen Lettern, die die drucktechnische Neuzeit einleiten sollten.

Heidelberg-Flaggschiff Speedmaster XL 106 für das 70×100-Format auf der letzten Drupa. Gefragt waren Varianten mit UV-Technologie für den Verpackungsdruck, den das Internet nie überflüssig machen wird. Zu den Kunden zählen auch Web-to-Print-Unternehmen, bei denen es auf äußerste Schnelligkeit ankommt. Copyright: obs/Heidelberger Druckmaschinen AG

Die letzten drei Jahrzehnte: Permanente Innovation in der grafischen Industrie

Bedenkt man den Verlauf dieser langen Zeit, in der Technik, Kultur und Medien zueinander fanden und sich gegenseitig bedingen sollten, mutet die Zeitspanne zwischen 1980 und heute wie eine zu vernachlässigende Größe an – und doch haben sich Druck-Branche, die grafische Branche und die Kommunikations-Branche so schnell verändert wie nie. Nicht nur durch das Internet, auch wegen den Durchbrüchen bei chemischen Prozessen, bei der Farbenherstellung, bei der Lasertechnologie und dem Maschinenbau.

Drucktechnik heute: Alles oder nichts betriebswirtschaftlich gedacht

Bei den Bits und Bytes gilt das digitale Alles-oder-Nichts-Prinzip „1 oder 0“. Dieser Grundgedanke findet sich bereits in analogen Druckverfahren wie der Lithografie. Ab 1798 wurde mit Fettkreide auf Kalksteinplatten gezeichnet, ursprünglich um Texte und Noten zu vervielfältigen. Dabei nimmt die Kreide die Farbe an, der feuchte Stein stößt sie ab – ein Prinzip, das im Offsetdruck fortgeführt werden sollte: Abstoßung und Anziehung für bedruckte und unbedruckte Flächen. Alles oder nichts. Manch ein Druckerei-Inhaber mag heute meinen, darum ginge es auch wirtschaftlich immer mehr – oder nur noch.

Vom Desktop-Publishing zur Durch-Digitalisierung des Offset-Druck-Workflows

Die 1980er-Jahre – das waren die Anfänge des Desktop-Publishing mit den ersten WYSIWYG-Darstellungen, mit Laserdruckern, Postscript als Seitenbeschreibungssprache, Postscript-Schriften, mit ersten Versionen von Adobe Illustrator oder Aldus PageMaker. Erst wurde die Reinzeichnung grafischer Entwürfe digital, dann die Druckvorstufe, inzwischen stehen in Druckereien voll automatisierte Offsetdruckmaschinen, in denen die Druckplatten direkt belichtet werden. Die drucken nicht nur 6-farbig, sondern stanzen auch, drucklackieren oder UV-lackieren. Es gibt Hybridmaschinen, die Offsetdruck und Digitaldruck vereinen oder Offsetdruck mit Flexodruck kombinieren – zum Beispiel für die Verpackungsproduktion. Der Digital-Inkjetdruck kann in dieser technischen Verschmelzung seine Vorteile bei der Individualisierung der Drucksachen ausspielen. All das in wenig mehr als 30 Jahren.

Beispiel Kolbe-Coloco Spezialdruck: 200 Jahre Drucktechnik im Schnelldurchlauf

Eine Kurz-Übersicht über die bald 200jährige Geschichte der Druckerei Kolbe Druck, die ihre Nische in Spezialdrucktechniken, Verpackungsdruck und Sonderprodukten gefunden hat, zeigt exemplarisch die Entwicklung:
1828 als Buchbinderei gegründet
1879 Buchdruckerei
1911 Erste fußbetriebene Druckmaschine
1960 Offsetdruck
1972 Erste 4-Farben-Offset-Maschine
1975 UV-Technologie im Offsetdruck
1982 Sicherheitsplaketten-Produktion für Kraftfahrzeuge, Prägeholografie
1987 Patent auf Siebdruck zur Herstellung von ertastbaren Symbolen.
1990 2 Rotationsdruckmaschinen für den Buchdruck und Flexodruck
1991 Elektronische Bildverarbeitung
1996 Linsenraster-Technologie für Wechselbilder, Bewegungsabläufe und 3-D Bilder
2000 Anschaffung einer 6-Farben-Rotationsbuchdruckmaschine in 400er Breite.
2001 5-Farben-Bogen-Offset-Maschine mit Lackwerk und UV-Trocknung.
2002 Digitales Drucksystem. Entwicklung der Folienkaltprägung für Rollenetiketten.
2004 Verkauf des Unternehmens an die Invest Equity.

18.000 Bogen pro Stunde: Offsetdruck im Geschwindigkeitsrausch

Nach Bogen-Offsetmaschinen, die 12.000 Bogen pro Stunde druckten, sind nun 18.000 möglich. Wer hier die Geschwindigkeit in der gesamten Fertigungskette halten will, muss viele Weiterverarbeitungsaggregate nachschalten. Auch die Rüstzeiten der Druckmaschinen haben sich verringert. Neuartige Farben, die exaktere Reproduzierbarkeit von Druckergebnissen, neue Verfahren und Materialien sparen Kosten, schonen die Umwelt und wirken auch in Bezug auf den CO2-Ausstoß nachhaltiger.


Plattenwechseln und reinigen – vollautomatisch bei der Roland 700.

Neue FM-Druckraster-Technologie in den 1990er-Jahren

Die Digitalisierungs-Pionierarbeit der 1980er-Jahre hatte Folgen in vielen Bereichen: In die 1990er-Jahre fällt z.B. die Entwicklung des frequenzmodulierten FM-Rasters, das bei einheitlicher Rasterpunktgröße den Punktabstand variierte und dadurch Darstellungen detaillierter und in einem erweiterten Farbraum wiedergeben kann, sowie Moirés als störende Interferenz-Muster ausschließt. Das FM-Raster – auch „Crystal-Raster“ oder „Diamond Screening“ genannt – konnte aber das alt hergebrachte amplitudenmodulierte AM-Raster, das mit gleich bleibenden Rasterpunktabständen aber mit variablen Punktgrößen arbeitet, nicht verdrängen, auch weil es größere Farbflächen nicht so konsistent wiedergab bzw. eine wiederholbares Druckergebnis erschwerte. Man wird sehen, inwieweit sich das FM-Raster in Zeiten der CtP-Technologie, von Computer to Plate und Computer to Press weiter durchsetzen kann. Eine Lösung, die beide Technologien vereint, ist das XM-Raster, ein Hybridraster, das beide Technologien verbindet. In den mittleren Tönen kommt ein herkömmliches AM-Raster zum Einsatz, nämlich dort, wo das FM-Raster zur Körnigkeit neigt, bei Lichtern und Tiefen wird in einem weichen Übergang ein FM-Raster genutzt. Das FM-Raster war ein angesagtes Thema, es wurde in neue Belichter investiert. Heute hört man nicht mehr viel davon.

Alt gegen neu: Tiegel-Stanze contra Laser-Stanze

Aber auch der Buckdruck als Technik ist nicht ganz verschwunden. Zumindest stehen in vielen Druckereien noch Tiegel, mit denen gestanzt und genutet wird. Die Laserstanze, die viel filigranere Motive auf unterschiedlichsten Materialien ermöglich, hat dieses alte Verfahren nicht abgelöst. Der Laser, der aus Papier und Pappe die Motive schneidet, ist ein weiteres digitales Ausgabeinstrument geworden, auch andernorts, wo er im Tiefdruck Zylinder graviert oder Druckplatten belichtet. Immer neue Innovationen entwickeln die Technik weiter.

Druck-Hologramme für Sicherheit und ein visuelles Erlebnis

Überhaupt leben wir nicht nur in den Zeiten von Mehrfarbigkeit und Veredelung diverser Drucksachen durch matte oder glänzende Drucklacke oder durch UV-Lack, immer hochwertigere Drucksachen sind inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Dazu zählen Kaltfolienprägung und Heißfolienprägung, Druckhologramme für die Ästhetik oder Hologramme für mehr Produktsicherheit, die nicht mehr zerstörungsfrei abgelöst werden können.

Thermoreliefdruck und der wasserlose Offsetdruck

Es gibt aber auch recht alte Verfahren, die immer noch ihren Charme haben. Ende der 1970er Jahre gelangte der Thermoreliefdruck – auch Thermodruck genannt – zu uns. Als Alternative zur Prägung mit ganz eigener Ästhetik gedacht, wird ein Granulat geschmolzen und steht deutlich erhaben und mit strukturierter Oberfläche auf dem Papier. Aus dieser Zeit stammt auch der wasserlose Offsetdruck, der eine weitaus größere Konturenschärfe des Rasterpunktes zulässt. Damit waren im Gegensatz zum damalig verbreiteten 60er-Raster (60 Linien/cm) oder maximal 80er-Raster, Raster mit 150 L/cm und mehr möglich, die so fein sind, dass ein Punkt mit bloßem Auge nicht mehr zu erkennen ist.


Die Heidelberg XL75 mit integrierter Farbmessung für mehr Druckergebnisstabilität und mit Dispersionslackwerk

Sicherheitsdruck, Sonderfarben oder Spezialbeschichtungen als Druck-Spezialitäten

Die Liste der innovativen und immer weiter optimierten Druckverfahren und Technologien ließe sich schier unendlich erweitern, ob im Bereich der Sicherheit von Banknoten, wo es stets darauf ankommt, möglichen Fälschern eine Nasenlänge voraus zu sein, vor allem aber auch, weil der Konsument Neues sehen möchte, weil visuelle Attraktionen gefordert sind, wie Hologramme, Prägungen, Lacke, Sonderfarben und Spezialbeschichtungen oder Besonderheiten wie der Siegelmarkendruck, die immer noch den besonderen Reiz einer Drucksache ausmachen können.

Innovationszyklen in der Druckbranche in immer kürzeren Abständen

Wer sich die zeitliche Abfolge über die Jahrhunderte und speziell in den letzten hundert Jahren ansieht, muss zu dem Schluss kommen, dass die Innovationszyklen in allen Bereichen nicht nur immer kürzer werden, sie künden inzwischen von einer permanenten Umwälzung. So, als wollte eine Errungenschaft die andere überholen. Wer will da noch mit seinen Investitionen mithalten? Innovationen schaffen neue Märkte aber in investitionsintensiven Branchen braucht man auch genügend Zeit, um die Investition zu refinanzieren. Die Frage ist also z.B.: „Nutze ich den alten Tiegel zum Stanzen oder leiste ich mir die Laserstanze?“

All die Verlockungen der technischen Möglichkeiten dürfen nicht verschleiern, dass nicht nur die Druckerei als multimediales Medienhaus gefordert ist, sondern auch als Unternehmen mit Marketingorientierung, das seine Nische finden muss – um seine Möglichkeiten zu nutzen.

Seit dem letzten Jahr bietet Heidelberg das Digitaldrucksystem von Ricoh für den Druck kleiner Auflagen unter dem Namen Heidelberg Linoprint C 901 an. Copyright: obs/Heidelberger Druckmaschinen AG.

Mehrwert, Nutzenaspekte und Innovationen im Offsetdruck

Neue Techniken setzen sich dann durch, wenn sie einen Mehrwert bieten. Mehrwert bedeutet für den Käufer von Drucksachen, dass er andere Möglichkeiten hat, dass ihm Techniken einen erfahrbaren Nutzen bieten. Das, was für die Drucktechnik gilt, kann man verallgemeinern. Ob beim rasanten Wettlauf bei den Smartphones oder bei den Browsern, die in immer kürzeren Intervallen immer neue Funktionalitäten bieten oder beim Motorsport der Formel I: Überall wird versucht mit Innovationen Nutzenaspekte zu schaffen, die die neue Technik ermöglicht.

Was haben Smartphones, die Formel I und das Druckgewerbe gemeinsam?

Bei der Formel I geht es um Schnelligkeit, bei den Smartphones um die Integration immer neuer Features, die in den verschiedenen Lebensbereichen des Nutzers Verwendung finden, schwerpunktmässig um Kommunikation und Fotografie. Aber auch audiovisuelle Features und generell die Vernetzung spielen eine Rolle. Das Smartphone ist das Paradebeispiel für eine integrierte multifunktionale Technologieansammlung, die entfernt auch an die Umorientierung im klassischen Druckgewerbe erinnert – wandelt sich doch der Offsetdrucker um die Ecke schneller als gedacht zum multimedialen Dienstleister zwischen Offsetdruck, Digitaldruck und elektronischen Darreichungsformen. Auf die Mischung kommt es an.

Die vielen Seiten der digitalen Druckwelt

Die Welt hat sich aufgespalten in eine materielle Seite, die der Offsetdruck immer schon war, und eine Daten-Seite, in der die Welt in Bits und Bytes decodiert ist. Bits und Bytes, aus den druckfähige PDF-Dateien werden können, Fotoabzüge oder Fotobücher und auch andere Artikel in Kleinstauflagen. Oder Webseiten, CD-ROMs, Flashanwendungen, Filme, Fotoarchive und vieles andere mehr.

Mit dem Kreativ-Konzept „Cristala“ sind neue Veredelungseffekte möglich, die stark akzentuierten Glanz erzeugen. Die gedruckte Schallplatte besticht durch feine Strukturen auf dem Bedruckstoff, die den Eindruck einer geprägten Struktur vermitteln. Copyright: obs/Heidelberger Druckmaschinen AG.

Verdrängungswettbewerb im Drucksegment

In der kleinen bis mittelständischen Druckerei war früher eine Zweifarbenmaschine eine Art Lebensinvestition. Dass neue Maschinen irgendwann angeschafft werden müssen, war mit auf der Rechnung, z.B. um Mehrfarbigkeit und allgemein die Produktivität zu gewährleisten. Was aber, wenn die Produktlebenszyklen eines Investitionsgutes wie einer Druckmaschine immer kürzer werden und die Märkte immer kurzintervallliger? Wer mithalten will, muss investieren, um weiter marktgerecht produzieren zu können aber wo ist die betriebswirtschaftliche Grenze des Einkaufes immer neuer Innovationen erreicht? Zumal die Standardisierung von Druckerzeugnissen und Produktions-Workflows über Onlinedruckereien, die keine Präferenzstrategie, sondern eine Preis-/Mengen-Strategie verfolgen, den alt hergebrachten Markt erheblich durcheinandergebracht haben.

Individualisierung bei den Offsetdruck-Produkten gegen Normierung

Innovationszyklen mitmachen konnten immer schon die Erfolgreichen. In einem Markt, in dem ein permanenter Verdrängungswettbewerb herrscht, findet eine Konzentration statt, das heißt, der Markt bereinigt sich – und das stärker als früher. Wenige bleiben und mehr fallen durch das Raster. Es ist ein Raster des Erfolges und der Anteilnahme an Innovationen. Große Onlinedruckereien haben erkannt, dass Prozesssicherheit innerhalb eines konsistenten Workflows auch eine Kunst sein kann. Es ist die Kunst der kurzen optimalen Durchlaufzeiten, der Auftragsbündelung, der Organisation über JDF-Dateien, in die zunehmend das Betriebswirtschaftliche (wie die Nachkalkulation) integriert wird, des schnellen Druckes auf immer größeren Bögen, die Kunst der knappen Kalkulation, der punktgenauen Logistik – vor allem aber die Kunst der Standardisierung. Aber das ist die Krux: im optimierten massenfertigenden Workflow bleibt wenig Platz für Sonderwünsche. Zwar diversifizieren große Onlinedruckereien ihre Produkte zunehmend, bieten Veredelungen und mehr Papierarten, auch Nischen- und Kleinprodukte – aber dennoch bleibt das Angebot normiert.

Kreativität bei der Unternehmensführung gegen austauschbare Dienstleistungen

Das ist der Ansatzpunkt für kleine Druckereien: eine individuelle Beratung z.B. bei Papierarten. Besondere Veredelungstechniken, die nicht jeder bietet, und Kreativität bei der Darstellung der Dienstleistungspalette schaffen die Nische. Mitunter unter Einsatz des alten Tiegels innerhalb eines modernen digitalen Workflows. Denn der Kunde selbst ist noch analog geblieben, auch wenn er digitale Daten schickt.

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